Es ist ein strahlend schöner und heißer Sonntag im Weinviertel, an dem ich Martha bei ihr zu Hause besuchen darf. Ihr zu Hause ist ein typisches weinviertler Haus. Ein Erdgeschoß und ein umschlossener Innenhof. Hier gibt es bunte Blumenbeete, wo gerade die orangen Taglilien blühen. Typische weinviertler Bauerngartenpflanzen. Wir setzen uns in eine überdachte Nische für das Interview.

Braunrote Taglilie, Hemerocallis fulva

Ich freue mich sehr, dass Martha für mich Zeit hat. Denn vor etwa einem Jahr habe ich ihren Garten durch einen Zufall entdeckt. Wir waren Steckerlfisch essen in Nexing und auf dem Weg nach Hause, fällt mir am Straßenrand eine kleine Gartenhütte auf. Darauf der Schriftzug „WILD SEIN“. Das ist es! Das ist mein Motto! Ich habe mich so gefreut in meiner Region jemanden zu finden, der einen ähnlichen Zugang zum Gärtnern hat. Ich habe davon Fotos gemacht. Und bald war mir klar, dass eines dieser Fotos wohl in mein Buch „Wo die wilden Nützlinge wohnen“ Eingang finden wird. Und so war es dann auch.

Heilpflanzen liebt Martha

Alant, Inula heleniuim

Herzgespann, Leonurus cardiaca

Sonja: Liebe Martha, wie ist es zu deinem WILD SEIN Krautgarten gekommen?

Martha: Weil ich hier beim Haus keinen Platz habe. Ich habe hier einen kleinen Gemüsegarten. Aber ich mag sehr gerne Kräuter, die viel Platz brauchen. Zum Beispiel den Alant. Er wächst einfach so schön. Oder auch Wildkräuter wie etwa das Herzgespann. Ich hatte das alles vor einiger Zeit hier im Innenhof. Doch der Platz ist zu klein. Es ist sich nie alles ausgegangen. Und dann pflanzten wir einen neuen Weingarten mit gelbem Muskateller. Und zeitgleich habe ich den Krautgarten angelegt. Intuitiv. Ohne groß nachzudenken. Davor hatten wir dort schon einige Jahre unsere Erdäpfel angebaut. Es ist ein Garten, der weit weg ist. Wo ich nur höchstens jeden 2. oder 3. Tag hinkomme. Und daher wächst in meinem Krautgarten das, was auch ohne intensive Pflege überlebt. Wie Paradeiser.

Sonja: WILD SEIN. Wie bist du auf das Motto gekommen? Das auf deiner Gartenhütte zu lesen ist.

Martha: Das ist für mich ein ganzheitliches Motto. Auch ein Lebensmotto. Und den Begriff selber, hat ein Freund von mir geprägt. Das WILD SEIN hält alles im Gleichgewicht. Es aufschreiben, das wollte ich so. Um zu zeigen: Wie der Garten aussieht, das gehört so. Ich gehe in den Garten, wenn ich Zeit habe. Und wenn mein Ehemann Wasser liefert. Denn Wasser ist immer ein Thema. Es überlebt nur das, was mit der Trockenheit, dem Wetter und Klima hier umgehen kann. Ist das Wild sein? Ich weiß es nicht. Natürlich könnte ich auch anders gärtnern. Aber so gehört das für mich. Und deshalb habe ich WILD SEIN auf meine Gartenhütte geschrieben. Denn wenn etwas geschrieben steht, dann ist es manifest. Und ich habe es auch ein bisschen als Spaß empfunden. Aber es passt dennoch genau. Es passt wirklich genau. Und ein bisschen ist es auch eine Sehnsucht. So wild wie ich gerne sein möchte, bin ich ja gar nicht. Also, auch das steckt dahinter. Das WILD SEIN drückt auch zu mindestens 50 % diese Sehnsucht aus.

Sonja: Soll es also auch ein Aufruf sein, dass man selbst wilder sein kann?

Martha: Ja, wilder. Und frei sein. Es hängt ja auch immer mit Freiheit zusammen. Ursprünglich sein. Der Natur vertrauend. Diesen Dingen, die mit dem Kopf nicht erreichbar sind. Der Vernunft. Obwohl ich schon für die Mischung bin. Aber ich habe den Eindruck, dass unsere Zeit sehr konformistisch ist. Ich bin zwar keine Verschwörungstheoretikerin, dennoch fühle ich mich schon oft fremd geleitet. Und habe dabei manchmal die Sorge, dass ich es gar nicht merke, was mich alles leitet.

Marthas Garten ist wild schön

Sonja: Was empfindest du im Garten? Ist das wichtig für dich im Freien, in der Natur sein?

Martha: Es ist für mich sehr wichtig im Garten, in der Natur zu sein. Und jeder Garten hat eine eigene Tonlage. Der WILD SEIN Garten in Nexing ist der schönste. Es ist unglaublich, welche Geräusche es dort gibt. Es gibt durch den Wald einen Hall. Wenn der Kuckuck etwa ruft. Oder ein anderer Vogel singt. Das ist, als würde sein Gesang mit einem Lautsprecher verstärkt werden. Also von der Geräuschkulisse gefällt mir der in Nexing am besten. Da hier im Innenhof bin ich am liebsten. Das ist mein Rückzugsort. Und hier bin auch am häufigsten.

Typische Bauerngartenpflanzen

Liebstöckl, Levisticum officinale

Rhabarber, Rheum rhabarbarum

Sonja: Wie kultivierst du deinen WILD SEIN Garten?

Martha: Ich mache es einfach so, wie ich es glaube. Meine Mutter ist eine große Gärtnerin zu Hause im Mölltal, in Kärnten. Aber dort ist ein völlig anderer Boden. Ein ganz anderes Klima. Das ist unvergleichlich. Dabei ist es heuer auch hier im Weinviertel total schön. So gut angewachsen wie heuer, ist es selten. Weil es im Frühjahr ausreichend geregnet hat. Der Rhabarber zum Beispiel. Der ist heuer gewachsen, weil es genug geregnet hat. Ohne dass ich was tun muss. Oder auch der Liebstöckl. Aber ich bin in keiner Gärtnerschicht firm genug, um spezielle Kulturmethoden anzuwenden. Permakultur besipielsweise. Ich lasse mir zwar die Rübe (ein österreichisches Permakultur Magazin) schicken. Dennoch kann ich das nicht. Ich probiere einfach immer wieder ein paar Dinge aus.

Gartenwissen von Mutter zu Tochter weitergeben

Der Bauerngarten meiner Mutter in der Steiermark. Auch ich habe von ihr über Gemüseanbau viel gelernt.

Sonja: Wie weißt du, wie du etwas kultivieren musst? Etwa Anbauzeitpunkt oder Reihenabstand etc.

Martha: Das weiß ich noch von zu Hause. Von meiner Mutter. Dennoch weiß man trotzdem nie genau, wie es dann wird. Also wie das Wetter wird. Wie heuer. Die ersten Radieschen sind super geworden. Die zweiten konnte ich schon wieder vergessen. Also, ich scheitere sehr oft. Das gehört auch zum Wild Sein. Ich bin keine Tüftlerin, keine Pragmatikerin, auch keine Wissenschaftlerin. Es ist also ein sehr intuitiver Zugang. Ein paar Dinge weiß ich natürlich. Aber ich gärtnere, wie ich eben glaube. Oder was ich gerade spüre. Ich bin in meinem ganzen Leben so. Manchmal fährt man gut. Und ein anderes Mal geht was schief. Und ich muss ja nicht davon leben. Das ist im Weinbau meiner Tochter schon anders. Dann muss man viel genauer sein. Und das ist bei mir im Garten nicht so. Gott sei Dank. Diesen Überlebenskampf, den etwa noch unsere Eltern hatten, habe ich nicht. Also das war damals schon noch zum Großteil Selbstversorgung. Das was man selbst anbaute, war wichtig. Wir haben zwar im Luxus gelebt. Das habe ich gemerkt, als ich selber zu Garteln begonnen habe. Wie gut wir gelebt haben, was die Qualität der Nahrungsmittel angeht. Weil wirklich, das meiste von uns selber war. Entweder wild gesammelt. Oder angebaut. Und eingelegt und eingekocht. Und wir haben wirklich wenig gekauft. Also Gemüse und Obst gar nicht. Das war zu teuer. Wir haben in der Natur gesammelt. Himbeeren, Heidelbeeren. Ich habe es gehasst. Aber heute freue ich mich, wenn ich eine wilde Schwarzbeermarmelade von meiner Mutter bekomme. Also jetzt weiß ich erst, was wir gegessen haben. Heute hier in meinem Garten muss ich nicht von dem Leben, was ich kultiviere. Und deshalb darf ich hier auch etwas wilder sein, weil ich nicht diesen Druck habe.

Gemüse und Kräuter selber kultivieren

Sonja: Aber es ist dir schon wichtig, dein eigenes Gemüse, Nutzpflanzen und Kräuter anzubauen? Und es hat schon einen wichtigen Stellenwert für dich. Oder?

Martha: Ja, es hat einen sehr großen Stellenwert für mich. Und eigentlich wächst ja jedes Jahr viel mehr, als ich, wir verbrauchen. Das Problem ist, du musst es dann einkochen. Also Problem. Es ist einfach viel Arbeit und viel Zeit, die man dafür braucht. Das ist dann eben auch mein wilder Zugang. Mich interessieren einfach so viele Dinge. Und dann muss man irgendwie wild mit der Zeit umgehen. Und der Garten ist ein Ort, der viel Zeit braucht. So wie jetzt. Ich habe Urlaub. Und ich denke mir: Martha, wie kannst du nur arbeiten gehen? Das geht gar nicht. Gott sei Dank habe ich im Sommer Urlaub.

Geliebte Wilde

Vogelmiere, Stellaria media

Ringelblume, Calendula officinalis

Weberkarde, Dipsacus fullonum

Gundelrebe, Glechoma hederacea

Sonja: Du hast dein WILD SEIN beschrieben. Wie gehst du mit Spontanwuchs um? Also Unkräuter im Garten. Darf das sein? Soll das sein?

Martha: Das ist so: Manchmal ärgert es mich. Aber im Frühling bin ich total froh über die ersten Pflanzen. Etwa über die Vogelmiere. Die Gundelrebe. Da freue ich mich sehr. Über die Vogelmiere freue ich mich das ganze Jahr. Die stört mich nie. Obwohl ich sie schon auszupfe. Eigentlich freue ich mich über alles das wild aufwächst. Manchmal nimmt es jedoch überhand. Ich setze dazwischen Salat. Und ich merke, es wächst nicht. Diese Konkurrenz macht mich manchmal entscheidungsschwach. Etwa die Ringelblumen. Die sind zwar nicht wild. Die habe ja ich selbst ausgesät. Aber ich merke, die verdrängen andere Pflanzen. Und dennoch reiß ich so ungern aus. Weil sie so schön sind. Und manchmal freu ich mich, dass die wilden oder die stärksten überleben. Oder Karden. Die sind einfach schön. Ich finde, es gibt kaum eine Pflanze, die nicht schön ist. Trotzdem zupfe ich Beikräuter schon aus. Gerade in Trockenzeiten freue ich mich einfach darüber, dass die Pflanzen überleben. Ohne dass ich irgendetwas tu. Jedoch alles unter der Prämisse, dass ich nicht davon leben muss.

Pflanzen, die Martha nicht mag

Weinraute, Ruta graveolens

Götterbaum, Ailanthus altissima

Sonja: Gibt es auch Pflanzen, die du nicht magst?

Martha: Götterbäume. Die mag ich nicht. Weil sie so stinken. Und weil sie im Weingarten so wuchern. Die Weinraute mag ich auch nicht. Da bekomme ich Gänsehaut. Ich hatte sie hier im Innenhof. Sie hat sich total ausgesämt. Dann habe ich sie in den wilden Garten gesetzt. Weil ich sie schön finde. Die Blätter sind schön. Doch wenn ich ihr nahe komme, halte ich sie nicht aus. Ihren Geruch.

Marthas Lieblingspflanzen

Minze, Mentha sp.

Brennessel, Urtica dioica

Kamille, Chamaemelum nobile

Sonja: Und im Gegenzug. Gibt es Pflanzen, die du besonders gern magst?

Martha: Viele. Heuer habe ich mich so gefreut über die Echten Kamillen. Sie sind hier überall zwischen den Ritzen gewachsen. Sie sind lange gewachsen und haben auch lange ihren Duft verströmt. Ich mag Minzen und das Herzgespann. Das Herzgespann war, als ich es das erste Mal sah, wie eine Erscheinung. Ich habe es nicht gekannt. Ich freue mich über viele Pflanzen. Eben die Ringelblume, die ich schon erwähnt habe. Ich mag auch Brennnesseln gerne. Wenn man was sucht, und es dann tatsächlich findet. Und es auch nutzen kann. Auch die Karde zum Beispiel. Die ist eine Borellia-Pflanze.

Lästige Gartenmitbewohner

Wühlmaus

Spanische Wegschnecke

Sonja: Wie gehst du mit Schadtieren wie Wühlmäusen und Schnecken oder Krankheiten um?

Martha: Im WILD SEIN Garten kommen schon viele Schnecken. Also die Erdbeeren haben sie heuer alle weggefressen. Die Paradeiserpflanzen sind kein Problem. Die Wühlmäuse waren voriges Jahr fürchterlich. Und deshalb haben wir heuer 3 Beete gemacht, wo ein Gitter am Boden liegt. Und das hilft. Jedes Beet ist ca. 4 Ziegelreihen hoch. Und am Boden liegt ein ganz feinmaschiges Gitter. Das hilft super. Jetzt wächst der Zeller und Lauch. Denn voriges Jahr war es sehr sehr traurig. Heuer geht es durch das Gitter gut. Und ich habe Kübeln stehen im Garten. Für die Jätarbeit. Und heuer habe ich sicher 10 Wühlmäuse in diesem Kübeln gefangen. Ganz unbeabsichtigt. Sie sind einfach ersoffen. Sie haben sich selbst erledigt.

Familientradition Weinbau

Kellergasse in Niedersulz.

Sonja: Wie ist es zum Weinbau gekommen? Und wie führt deine Tochter Lea das Wein-Gut?

Martha: Es ist so, dass mein Ehemann Manfred den Weinbau übernommen hat. Denn früher hatte jedes Haus seinen Weingarten hier. Für die Familie meines Ehemanns war es eine Liebhaberei. Mein Ehemann Manfred hat eine totale Leidenschaft für den Weinbau. Ich denke mir, sein Zugang zum Weinbau ist ähnlich wie zur Religion. Die Spirituelle Dimension des Weinbaues ist ihm wichtig. Des Kreislaufes. Und dieses Luxusgetränkes an sich. Der Weinbau hat etwas sehr Spirituelles. Und wenn man auf dem Land lebt, hier im Weinviertel, ist es für uns einfach normal Wein zu kultivieren und Nutzpflanzen anzubauen. Also das ist für mich der wichtigste Grund auf dem Land zu leben. Und die Weinkultur im Weinviertel. Der Wein war schon da, als ich noch nicht hier war und auch mein Ehemann Manfred nicht. Der Wein ist überhaupt die Lieblingsbeschäftigung meines Ehemannes. Und seit er 50 ist gefällt es ihm älter zu werden und seine Ruhe zu haben. Und der Weingarten ist der allerbeste Ort dafür seine Ruhe zu haben und älter, reifer zu werden. Aber nur der Weingarten. Das Drumherum nicht. Das ist viel Arbeit. Denn es ist ein Bio-Wein, der strengen Kontrollen unterliegt. Und das macht jetzt schon unsere Tochter Lea. Der Weinbau ist für unsere Familie ein Kulturgut. Und der Weinbau hält die ganze Familie zusammen. Die Ernte ist immer ein Fest. Es kommen alle zusammen und zur Lese gibt es dann immer besonders gutes Essen.

Im Weinviertel einfach leben

Knoblauch, Allium sativum

Sonja: Martha, du bist ja ursprünglich nicht aus dem Weinviertel. Ist das Weinviertel zu deiner Heimat geworden?

Martha: Ich bin hier erst heimisch geworden, als ich meinen ersten Knoblauch gepflanzt und geerntet habe. Und der Weinkreislauf, der den Lebensrhythmus vorgibt. Je mehr ich in den Weinbau eingestiegen bin, desto mehr ist es meine Lebensart geworden. Und desto heimischer habe ich mich hier gefühlt. Dennoch liebe ich Kärnten. Und vor allem die Landschaft dort. Aber die bleibt. Das muss ich nicht weggeben. Das ist nicht nur Vergangenheit. Man kann immer wieder andocken. Und dort ist – auch trotz Klimawandels – eine andere Welt. Die ersten 2 Jahre im Weinviertel waren wie im Urlaub. Wie in einer anderen Welt. Es riecht anders. Du kannst dich an nichts orientieren. Erst nach 2 Jahren ist es vertrauter geworden. Und nun liebe ich das Weinviertel hier, weil man einfach leben kann.

Martha Plößnig ist…

Seelsorgerin im Beruf

Keramikerin

WILD SEIN Gärtnerin

Weinbäuerin

Mutter zweier Kinder

Ehefrau

und ist einfach wild im Weinviertel seit 1990.

Ihre Familie betreibt unter der Führung von Tochter Lea Linhart und Ehemann Manfred Linhart das biologische Wein-Gut Linhart.